Die Heil- und Pflegeanstalt Wuhlgarten 1933 bis 1945 - Ein Ort bekennt sich zu seiner Vergangenheit

30. Januar 1933 - 'Zivilisationsbruch' und Vorbereitung des nationalistischen Völkermorders

Rassenideologie, Rassenpolitik und die Rolle der Ärzte
Die Nationalsozialisten mussten Begriffe wie »Fortpflanzungsauslese«, »Ballastexistenzen«, »leere Menschenhülsen«, »geistig Tote« »lebensunwertes Leben«, »Ausmerze« nicht erfinden. Sie haben aber, nachdem sie an die Macht gelangt waren, all diese Aussagen mit mörderischer Konsequenz realisiert. Die Gesamtheit der Gesundheitspolitik war für sie ein Dreh- und Angelpunkt bei der Erreichung ihrer auf Rassismus, Ausgrenzung und Vernichtung gründenden politischen Ziele. Insofern ist es richtig, wenn davon gesprochen wird, dass der Massenmord an Kranken und Behinderten, der erste Genozid der Nationalsozialisten gewesen sei. So wurde auch die Ermordung mittels Gas das erste Mal an den Kranken praktiziert und danach in die KZs übertragen.

Es gab keine gesellschaftliche Berufsgruppe, die die Nationalsozialisten bei der Erreichung ihrer Ziele so unterstützte, wie die deutsche Ärzteschaft ... Ernst Klee, einer der ersten, der das Kapitel der nationalsozialistischen Euthanasie erforscht und aufgedeckt hat, sagt, dass nicht die Nationalsozialisten die Ärzteschaft bei der Durchsetzung ihrer Ziele brauchten, sondern die Ärzte die Nationalsozialisten. Die Ärzte, insbesondere die Rassenhygieniker und die Psychiater, waren treibende Kräfte bei der Durchführung der Zwangssterilisationen und der »Euthanasie-Aktion T4«.

Die Gesunderhaltung des »gemeinschaftlichen Volkskörpers«
Zwangssterilisationen zur Auslese von »Erbkranken« und »Minderwertigen«

Die Sterilisation als Mittel der Auslese von als »erbkrank« oder als »minderwertig« Eingestuften, aber auch von sozial Auffälligen, war in den früheren Diskussionen auch international von vielen ärztlichen Vertretern als Maßnahme befürwortet worden. Allerdings galt in verschiedenen Ländern die Einwilligung der betroffenen Person als Voraussetzung zu einem solchen Eingriff. Für die Nationalsozialisten waren die Stellungnahmen der Betroffenen nicht gefragt.

»Euthanasie« und die Vernichtung von »lebensunwertem Leben«

Der »Euthanasie«-Erlass von Hitler vom Herbst 1939 mit dem »Recht« auf Gnadentod für nicht mehr zu heilende Kranke, ermächtigte die dafür ausersehenen und verpflichteten Ärzte, die Vernichtung von »lebensunwertem Leben« einzuleiten.

Durchsetzung der NS-Rassen- und Gesundheitspolitik

»Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« wurde am 7. April 1933 verabschiedet.

Damit konnten Beschäftigte »nichtarischer« Abstammung oder infolge »staatsfeindlicher« Aktivitäten gekündigt werden. Es folgte die Entlassung von kommunistischen, jüdischen, sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Beschäftigten aus den staatlichen und städtischen Behörden und Verwaltungen, ebenso wie aus den Krankenhäusern und Anstalten.

Von den etwa 400 städtischen Angestellten und Arbeitern in Wuhlgarten befinden sich 85 Personalakten im Landesarchiv Berlin. Darunter sind die Akten von zwei Pflegern, Albert V. und Ernst B. sowie einem Verwaltungssekretär Ludwig V., die wegen Zugehörigkeit zur SPD bzw. zur RGO (Revolutionäre Gewerkschafts Opposition) entlassen worden waren.

Bezüglich des Schicksals von Ärzten ist aus Wuhlgarten bisher nur etwas zu dem leitenden jüdischen Oberarzt Dr. Berndt Götz bekannt.
Dr. Berndt Götz wurde 1928 zum Oberarzt in der Anstalt Wuhlgarten berufen. Er war auch als gefragter Gerichtsgutachter tätig und Mitarbeiter des "Instituts für Sexualwissenschaften" in Berlin (Magnus Hirschfeld). Nicht nur seine "Rasse" wurde ihm zum Verhängnis, im wurden auch kommunistsche Umtriebe vorgeworfen. Kurzzeitig war er inhaftiert. 1934 gelang ihm die Emigration nach Palästina.

»Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses«
wurde am 14.7.1933 verabschiedet und trat am 1.1.1934 in Kraft.
Gleichzeitig damit installierten die NS-Behörden eine eigene Gerichtsbarkeit: Erbgesundheits-Gerichte und Erbgesundheits-Obergerichte.

Anstaltsärzte waren, ebenso wie frei praktizierende Ärzte, wenn sie Kenntnis von den als »Erbkrankheiten« deklarierten Leiden bekamen, zur Anzeige verpflichtet. Das Pflegepersonal aller Anstalten wurde systematisch in »Erb- und Rassenpflege« geschult. Sogenannte Erbkranke durften vor ihrer Sterilisation nicht aus den Heil- und Pflegeanstalten entlassen werden.

Der Nachweis der Erblichkeit, (der nicht möglich ist), musste nicht erbracht werden. …

Die Forschung geht davon aus, dass deutsche Ärzte etwa 360 000 Sterilisationen veranlasst haben. Des Weiteren heißt es, dass etwa 5 000 Menschen bei diesen Operationen zu Tode gekommen sind. Aus Wuhlgarten gibt es einige Nachweise zu den vorgenommenen Eingriffen. Im Hauptbuch sind 96 Fälle mit Datum und 88 mit dem Krankenhaus, wo die Operation stattfand, genannt. Es handelte sich vor allem um das Rudolf-Virchow-, das Oskar-Ziethen- und das Neuköllner-Krankenhaus. Und in Patientenakten sind 34 Fälle dokumentiert.

 

»Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens«
wurde am 3. Juli 1934 verabschiedet.

Von 1933 bis 1934 folgten weitere Gesetze zur Neuorganisierung der gesamten deutschen Sozialversicherung und der Einrichtungen des Gesundheitswesens, …
Das Ergebnis war eine von allen »nichtarischen« und »staatsfeindlichen« Elementen gesäuberte sowie vollständig zentralisierte Gesundheitsverwaltung unter NS-Führerschaft. … Unterstellt waren die neuen Gesundheitsämter direkt dem Reichsinnenministerium und ihre Hauptaufgabe bestand darin, das »Erbgesundheitsgesetz«, d.h. die Zwangssterilisierungen einheitlich und flächendeckend zu steuern und zu realisieren.

Erlass des Reichinnenministers zu erbbiologischen Erhebungen in den Anstalten

Die mit der Durchsetzung des Sterilisationsgesetzes verbundene Pflicht zur Meldung der »Erbkranken« an die Gesundheitsämter und die Erbgesundheitsgerichte mündete am 8. 2. 1936 in einem Erlass des Innenministers zur erbbiologischen Erfassung aller Anstaltsinsassen und ihrer Angehörigen in Deutschland.
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30 January 1933 - »Zivilisationsbruch« and preparation for the Nazi genocide

The Nazis had not to invent terms like »reproductive selection«, »dead weight existences«, »empty human bodies«, »mentally dead« »life unworthy of life«, »extermination«. However, they did though realize all these statements with murderous consequence after they came in power. The entirety of the health policy was a pivotal element of achieving their political objectives that were based on racism, exclusion and extermination. Hence, it is correct to speak of the mass murder of sick and disabled people as the first genocide of the Nazis. The use of gas chambers was also practiced here for the first time and then later transferred to the concentration camps.
There was no professional group that supported the Nazis in achieving their goals as much as the German medical profession did ... Ernst Klee, one of the first who has researched and uncovered the chapter of Nazi euthanasia, says that not the Nazis needed the medical profession but the physicians needed the National Socialists to accomplish their objectives. Physicians especially psychiatrists and eugenicists were the driving forces in the implementation of forced sterilisation and »euthanasia Action T4«.

The health maintenance of »collective racial corpus«

Compulsory sterilisation for the of selection the »hereditary defects« and »inferior«

Sterilisation as a means of selection of classified »hereditary defects« and »inferior« and also social conspicuous people had been endorsed as an action even internationally by many medical representatives in the earlier debates. However, in other countries the subject’s consent was an essential condition to such an intervention. For the Nazis the opinion of those affected was not important …

»Euthanasia« and the elimination of »life unworthy of life«

The »euthanasia«-decree from Hitler in the autumn of 1939 with its »right« to ‘mercy killings’ of the incurable sick authorized designated and obligated physicians to initiate the elimination of »life unworthy of life«.

Enforcement of Nazi racial policy and health policy

»Law for the Restoration of the Professional Civil Service«
was enacted on April 7, 1933.

This law enabled to dismiss employees of »non-Aryan« ancestry or due to »subversive« activities. It was followed by the dismissal of communist, Jewish, Social Democratic and union workers from state and city authorities and administrations, as well as from hospitals and mental hospitals.

Of approximately 400 employees and workers in Wuhlgarten 85 personnel files are located in the Archives of the Land Berlin. These include the records of two nurses, Albert V. and Ernst B. as well as administrative secretary Ludwig V. who had been dismissed for membership of the SPD [Social Democatic Party of Germany] and the RGO [Revolutionary Union Opposition] respectively. …

Regarding the fate of doctors from Wuhlgarten, there is only little known of the Jewish senior physician Dr. Berndt Götz so far.

»Law for the Prevention of Genetically Diseased Offspring«
was enacted on July 14, 1933 and made active in January 1934.
The Nazi authorities thereby installed simultaneously its own jurisdiction: the Hereditary Health Court and Hereditary Health Supreme Court.

Resident physicians as well as independent practitioners were obligated to report any conditions declared as »genetic disease«. The care attendants of all asylums were systematically trained in »genetic and racial hygiene«. So called hereditary defects were not allowed to be discharged prior sterilisation. Evidence of heritability (which is not possible) was not necessary.

The research assumes that German physicians have caused about 360,000 sterilisations. Furthermore, it is stated that about 5,000 people were killed in these operations. There is some evidence from Wuhlgarten of those interventions carried out. 96 cases dated and 88 cases with their place of surgery are named in the general ledger. And 34 cases are documented in the patient files.

»Law for the Unification of Health Care«
was enacted on July 3, 1933.

From 1933 to 1934 followed other laws to reorganise the entire German social security and health care institutions …
The result was of an all »non-Aryan« and »subversive« elements cleaned and fully centralised health administration under Nazi leadership. … The new health authorities were directly subordinated the Reich Ministry and their main task was the »Erbgesundheitsgesetz« [‘Sterilisation Law’], i.e. to control and implement the compulsory sterilisation uniformly and nationwide.

Decree of Reich Minister of the Interior for genetic census in all hospitals

Associated with the ‘Sterilisation Law’ was the duty to report all »hereditarily diseased« to the health authorities and Hereditary Health Court. This culminated in a decree for the genetic census of all inmates and their families in Germany, issued by the Minister of Interior on 8 February 1936.

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